Was wir beim Schlammbaden lernen können

27 ausgelassene 12-jährige vergnügen sich jubelnd in einer großen Schlammpfütze. Während die einen noch recht unschlüssig bis zu den Knöcheln oder Knien im kühlen „Gatsch“ stehen, haben sich die anderen bereits tollkühn hingekniet und probieren aus, ob sie mit ihren Händen den festen Grund erreichen. Nicht lange dauert es, bis sich die ersten mitten hineinsetzen in die kühl glitschige Masse und das elementare Erlebnis aus vollen Zügen genießen.

Dem regnerisch warmem Wetter in der ersten Juniwoche ist die oben beschriebene Szene zu verdanken, denn auf Grund der vielen Regengüsse war aus dem zumeist ausgetrockneten Bachbett ein tiefer „Schlammbach“ geworden. Einer pädagogischen Intuition folgend beschlossen wir kurzerhand, unsere Eselwanderung mit einer Barfußwanderung im Bachbett abzuschließen und so hieß die Anweisung für alle: „Schuhe ausziehen!“

Was die einen freudig befolgten, rief bei anderen Widerstand hervor, sei es aus Sorge um schmutzige Füße oder Schuhe oder aus Angst davor, mit nackten Fußsohlen am Waldboden und dann im Bachbett zu gehen. Doch so leicht lassen wir uns nicht mit einem „Nein“ abspeisen und nach kurzer Diskusson standen alle, bis auf einen einzigen, mit nackten Füßen da. Und schon ging es los, auf unserem Barfußmarsch durch das Bachbett. Alle mir nach!

Zuerst ist der Schlamm nur knöcheltief, doch schon bald kommen die ersten tieferen Schlammlöcher, die sich überraschend beim Gehen unter den Fußsohlen auftun. Erstes Jubeln und Kreischen setzt ein und schon bald lasse ich einige Eilige, die schnell ins tiefere Schlammloch wollen, an mir vorüberziehen. Darunter auch diejenigen, die sich nur wenige Minuten zuvor noch ängstlich weigern wollten, die Schuhe auszuziehen. Nun stapfen sie an mir vorüber, lachend, mit leuchtenden Augen und begierig auf das anstehende „Abenteuer“.

Pure Lebensfreude prägt für die folgende Zeit des Schlammbadens die Szenerie. Jubelnde Vorpubertierende, die sonst meist schon sehr auf ihr Äußeres bedacht sind, wälzen sich im Schlamm, lassen sich darin versinken, testen die Konsistenz der kühlen Substanz und genießen sichtlich ihr Lebendigsein. Und was lernen sie dabei?

Sie lernen die Beschaffenheit von durchnässtem Lehm- sowie Sandboden kennen und den einen vom anderen zu unterscheiden.

Sie lernen, dass es in einem Bachbett überraschende Tiefen gibt.

Sie lernen den Boden unter ihren Füßen besser kennen, ebenso wie neue Gerüche und Tasterlebnisse.

Sie lernen sich auf ein neues Erlebnis einzulassen und all ihre Sinne zu gebrauchen um die Welt, die sie umgibt, zu erspüren.

Sie lernen aufeinander Rücksicht zu nehmen, denn nicht jede/r möchte ihr/sein Schlammerlebnis gleichermaßen wild erleben.

Sie lernen, dass Ablehnung und Angst, die überwunden werden, in Begeisterung und Freude umschlagen können.

Vor allem aber erleben sie das Gefühl ausgelassener, unbeschwerter Lebensfreunde, ein elementares Erlebnis fernab von Events und konstruierten Abenteuern.

Last but not least braucht es zu all dem neben einer natürlichen Umgebung  Erwachsene, die das laute Jubelgeschrei und den vielen „Schmutz“ aushalten können.

Übrigens: Die anschließende kollektive Dusche mit dem Gartenschlauch war das I-Tüpfelchen und abschließende Highlight an diesem Nachmittag voll geballter Lebensfreude.

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3 Gedanken zu „Was wir beim Schlammbaden lernen können“

  1. wenn man/frau die „guten“ gründe des lernens bei dieser schlammarbeit bemüht und sozusagen betonen möchte, wird ein wichtiger faktor des kindseins hier völlig ausgeblendet: das „urkindliche“ und grenzüberschreitende der freude und die sinnfreiheit des spiels.
    durch die ständige „utilisierung“ des kindlichen tuns als wertvolle lernerfahrung wird das kindliche sein nur mehr als zweckvolles und ständig anzustrebendes betätigen herausgearbeitet. die kinder bekommen das ja auch mit, mit welchem analytischen sinn ihr tun von uns erwachsenen beobachtet wird. auch hier gibt es einen lerneffekt: ein zweckfreies spiel oder sinnloses tun ist dann wohl gar nicht mehr möglich, auch nicht erwünscht. alles muß einem ziel dienen, die kinder lernen, dass kindsein nur wertvoll ist, wenn alles tun einen zweck erfüllen kann. was das für die kindheit bedeuten kann, traue ich mir nicht weiter auszumalen.
    nicht umsonst gibt es schon lange warnende stimmen, dass uns die kindheit verloren zu gehen droht.
    warum ist es heutzutage nicht mehr möglich, den kindern bei ihrem ausgelassenen spiel einfach wertfrei zuzuschauen und sich mit ihnen zu freuen…..

    1. Ein zentrales Anliegen der „Lernmanufaktur“ ist genau das oben genannte wertfreie und zweckfreie Tun und Sein, gerade weil dieses in der heutigen utilitaristischen Zeit tatsächlich bedroht ist. Dieser Bericht will eine Lanze brechen für zweckfreies und absichtsloses Spiel, für die Möglichkeit nur „Löcher in die Luft starren“ zu dürfen und auch einmal gelangweilt zu sein, ohne dass gleich jemand nach „sinnvoller Freizeitbeschäftigung“ ruft. Insofern stimme ich dem ersten Kommentar voll und ganz zu.
      Dieses Anliegen sollte mit dem Satz: „Vor allem aber erleben sie das Gefühl ausgelassener, unbeschwerter Lebensfreude.“ unterstrichen werden.
      Als Autorin des Berichts muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich die Zweckfreiheit anscheinend zu wenig deutlich hervorgekehrt habe.
      Die geschilderte Szene konnte sich nur deshalb so ereignen, weil die von den beobachtenden (und teilweise auch teilhabenden) Erwachsenen eben NICHT mit einer bestimmten Absicht insziniert wurde, sondern ein wunderbares, nicht planbares Erleben des Augenblicks war.

      Erst die später erfolgte Analyse der Situation führte zur Nennung verschiedener Lernerfahrungen. Der Bericht darüber will gerade jenen, die durch ihre Einstellung das freie Spiel der Kinder bedrohen, weil sie meinen, alles müsse verwert- und nutzbar sein, aufzeigen, dass im – oberflächlich betrachtet – „sinnlosen“ Tun, unendlich viel Wertvolles steckt.

  2. Die Lernerfahrung liegt mit Sicherheit näher bei den Erwachsenen, die lernen es aushalten zu können, wenn Kinder sich mit samt dem Gewand im Schlamm wälzen, und dass es Kinder gibt, die das ablehnen , vielleicht auch das wir (Erwachsene) es nötig haben alles mit Sinnhaftigkeit zu behaften und daraus lernen, das Gelassenheit, Loslassen und Laufenlassen die bessere Wahl ist. Was Kinder bei ihrem Tun wirklich lernen, bleibt uns ohne hin verschlossen, wir können mutmaßen und spekulieren, wissen werden wir es nicht. Wir können den Kindern Erlebnisse ermöglichen und da hilft dem einen oder anderen vielleicht eine „Analyse“: „Was wir beim Schlammbaden lernen können“ .

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