Essay

Gartenspaziergang im April

Endlich! Ich sitze in der warmen Frühlingssonne, fühle den milden Wind im Gesicht und genieße die Ahnung eines sich langsam nähernden Frühsommers. Hoch über mir im Universum unserer riesigen Linde trällert ein Buchfink sein Lied. Auch er scheint sich am allgegenwärtigen Erwachen des Lebens zu freuen.

Wie so oft mache ich mich auf, um in den Garten zu gehen und den „Blumen beim Wachsen zuzusehen“ – meine ganz persönliche Art der Meditation, die mir hilft zur Ruhe zu kommen, meine Gedanken fließen zu lassen, die mich inspiriert, also immer wieder aufs Neue „begeistert“.

Schon bevor ich im Gemüsegarten angekommen bin, lässt mich ein bunter Blütenteppich aus kriechendem Günsel, Ehrenpreis, Gundelrebe und Löwenzahn innehalten und staunen. Mein Blick schweift vom bunten Blütenmeer zu meinen Füßen in die Weite, über unser „Projekt Bodenheilung„, das bereits in sattem Grün, goldgelb durchtupft von Löwenzahnblüten mild im Sonnenlicht leuchtet.  Kaum zu glauben, dass hier noch vor einem Jahr eine graubraune Fläche war, nur belebt von den ersten, tapfer sich behauptenden Pflanzen, die sich – grünen Inseln gleich – aus einem kargen braunen Boden erhoben.

Ich gehe weiter in den Obst- und Gemüsegarten. Hier stehen Apfel-, Pfirsich-, Kirsch- und Weichselbäume, ebenso wie der allgemein weniger bekannte Spänling, eine gelbe Zwetschke. Und nein, das ist keine Mirabelle! Diese gibt es auch im Garten, ebenso wie ein „Blaukriecherl“, eine Tellernektarine, eine Felsenbirne und eine Indianerbanane. Sie alle stehen in voller Blüte, sehen aus wie überdimensionale Blumensträuße mit tausenden von duftenden Blüten. Weiß, zartes Rosa, kräftiges Pink – ein Anblick, an dem ich mich kaum sattsehen kann. Dazu Gesumm und Gebrumm eifriger Bienen, dicker, behäbiger Hummeln und schwirrender Schwebfliegen. Sie alle genießen offenbar ebenso wie ich die Wärme und das Sonnenlicht.

Der große Schlehenbaum am Zaun erinnert mich an eine weiße Wolke. Auch hier gleicht die Akustik der eines Bienenstocks.  Entlang des Zaunes wachsen Himbeeren, Brombeeren und Weinbeeren. In meinen Gedanken sehe ich die fröhlichen Kinder, die – manche zum ersten Mal in ihrem Leben – voller Begeisterung von den Beerensträuchern naschen.

Ein lautes, tiefes Brummen zu meinen Füßen lässt mich innehalten. In einem lila-grünem, struppeligen Teppich aus Gundelreben bewegt sich etwas. Da! Eine dicke, gut zwei Zentimeter lange und fast ebenso dicke schwarz-gelbe Hummel kriecht aus den Tiefen dieses Blütenteppichs hervor. Ihr folgen mehrere Artgenossinnen. Sie suchen nun noch die Blüten an der Oberfläche nach Nektar ab, bevor sie sich – schwerfällig und zugleich elegant – brummend in die Luft erheben. Offenbar krabbeln sie zum Sammeln bis hinunter an die tiefer liegenden Blüten, tauchen ab in dieses Blüenmeer der aromatisch duftenden Gundelrebe.

Mein heutiger Rundgang neigt sich dem Ende zu. Noch ein kurzer Besuch bei der Bergzitrone, die in diesem Frühjahr zu ersten Mal blüht. Umso gespannter beobachte ich seit der Entdeckung der ersten Blütenknospen die Entwicklung derselben. Der Baum ist „schlau“, hat das kühle, windige Wetter abgewartet und beginnt seine Blüten erst jetzt zaghaft zu öffnen. Meine Geduld wird auf eine Probe gestellt und verdeutlicht mir in diesem lebendigen Bild wieder einmal, dass es wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt, das „Reifen“ einer Sache abzuwarten.

Gestärkt und ermutigt von dieser mich umgebenden Kraft des Lebendigen und voller neuer Gedanken, die es sich weiterzuspinnen lohnt, begebe ich mich zurück zu meiner Arbeit. Ich freue mich auf meinen nächsten Spaziergang. Diesmal vielleicht über den großen Acker oder zum Zeltplatz mit Beerengarten? Wir werden sehen…

Wollen sie mich wieder dabei begleiten?

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Renate Sprügl

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Renate Sprügl

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